The Start.

Mein erster Eintrag. 18.09.2017

Nach fast 2 Jahren traue ich mich das hier anzugehen. Lange hab ich das vor mir her geschoben oder wusste nicht so richtig wie ich das angehen sollte.
Jetzt probiere ich das mal.

Genau genommen ist das hier so etwas wie ein Online Tagebuch für mich, mit dem ich hoffe, mir Luft machen zu können. Und vielleicht lesen das ja Leute, denen es ähnlich geht. Vielleicht liest das auch irgendjemand, dessen Tage manchmal ähnlich verlaufen oder die einfach ne schwere Zeit haben und das bringt solchen Leuten dann irgendwas. Aber vielleicht mach ich das auch einfach weiter für mich. Wir werden sehen.


Welche Geschichte habe ich zu erzählen? 

Um es sehr kurz und knapp zu halten, ist das die vor allem die Geschichte eines Verlusts.
Vor knapp 2 Jahren habe ich meinen Vater verloren. Er war nicht in einem Alter zu sterben und ist von einem auf den anderen Tag einfach umgekippt und war tot. Er war nicht nur unser Fels in der Brandung und der Halt der ganzen Familie. Er war Ehemann und Papa von 3 Töchtern. 2 davon nicht mal volljährig, sondern mitten in der Pubertät, ich grade ausgezogen.

Ich hab meine Geschichte schon gefühlt tausend Mal erzählt. Verschiedensten Leuten aber ich weiß nie wie ich mich dabei fühlen soll. Aber jetzt habe ich mich entschieden hier einfach darüber zu reden/schreiben wie das so ist. Einfach die Dinge aufzuschreiben und Dinge so zumindest in Worte zu fassen, wenn ich sie schon nicht aussprechen kann.
Dazu gebracht hat mich, dass ich Einträge aus meinem persönlichem Tagebuch aus dem Monat Mai gefunden habe. Die Einträge von damals haben mich hart getroffen und ich kann gar nicht verstehen, dass das erst ein halbes  Jahr her ist, weil sich seitdem sehr viel gedreht hat.

Gedanken 07.05.17 Nachts

Und wieder von vorn, Fuß auf's Gas, ah, in ein gutes Jahr
Sofort los, sorglos, ohne groß' Fokus Richtung Zukunft fahren
Weg von immer nur leben ohne Riesengefahren
Jede Nacht lang: Schlaf nur Probeliegen für'n Sarg

Wenn ich mir diesen Text unter einem meiner früheren Post auf Facebook anschaue kommt mir das aus heutiger Sicht mehr als surreal vor. Ich weiß genau wie ich mich damals gefühlt habe und ich versuche auch nur annähernd in Worte zu fassen wie ich mich fühle wenn ich jetzt auf dieses Bild schaue und das Fühle was ich damit verbinde.

Da wäre zunächst der Aspekt mit dem guten Jahr. Wie ironisch, dass ich damals nichts mehr wollte als raus aus meinem Dorf, raus und weg von meinem gezwungenen sozialen Umfeld, meiner Abschlussklasse und Leuten die mich umgaben. Ich wollte Studentin sein, in die große Stadt. Ich liebte das Gefühl S-Bahn oder noch besser U-Bahn zu fahren. Und wenn ich in die Stadt rein fuhr hatte ich so ein merkwürdiges Gefühl von Heimat, wie ich es nie irgendwo anders hatte, nicht mal bei meinem Elternhaus.
Ich hatte so ein positives, aufgeregtes Kribbeln im Bauch und ich wollte nichts lieber als mich  mit meinem Studium austoben, feiern gehen und viele neue Freunde treffen mit denen ich Sachen und Gedanken austauschen konnte, lange Abende mit tiefen und langen Gesprächen haben konnte und Erinnerungen entstehen lassen wollte. Das alles fühlte ich, wenn ich in meinem geliebten kleine Auto saß.
Oder auch an dem Tag, der als der letzte Unterrichtstag gezählt wurde. Nur wenige Stunden Unterricht und dann nie wieder an diese Zwänge gebunden sein.
Ich glaube wir alle fühlten uns unglaublich individuell mit unseren Gedanken und Plänen, ich vor allem. Aber von heute ausgesehen waren wir genauso wie wahrscheinlich alle die Ihren Abschluss machen und mein  heutiges Ich ist genervt von der Euphorie und der Naivität die mitschwingt, wenn junge Erwachsene ihren Abschluss haben. 
[...]
 Ich erinnere mich an viele kritische Auseinandersetzungen mit meiner Mutter und meinem Vater. Wobei vor allem die Auseinandersetzung mit meiner Mutter bezüglich der Ausbildung und des Studiums mich im Nachhinein auch noch sehr sauer macht. Auch als ich anfange zu studieren, hat sie den Masterplan, was ich zu wählen habe, ohne sich auch nur einmal richtig informiert zu haben.
So harmonisch wie Anfangs gesagt, war also doch alles nicht. Aber trotzdem wenn ich an meinem Sommer 2015 zurück denke war es für mich DER Sommer. Abende an der Ostsee oder bei meinen Eltern im Garten. Zusammen rumalbern im Pool und meinen Abiball als einen unglaublichen Tanz- und Feierabend mit meinem Freund, der meine Träume was das angeht um Meilen überboten hat. Ich habe mich noch nie so glücklich und so unbeschwert gefühlt wie an diesem Abend mit meinem Freund.
Unglaublich traumhaft kommen mir auch die Grillabende mit meinen Eltern vor. Es gab unglaublich tolles Essen, wir saßen alle zusammen und haben über Gott und die Welt geredet. Ich habe es geliebt mit meinem Vater über alles Mögliche zu reden. Er hat immer auch unglaubliches Wissen über Bereiche gehabt, von denen ich keinen blassen Schimmer hatte und hatte immer tolle Geschichten die mich in tolle Stimmung versetzen. Ich mochte es ihm zuzuhören und irgendwie mochte ich die Art und Weise wie ich mich fühlte wenn er erzählte.
Das sind unter anderem die Erinnerungen die heute in meinen Kopf kommen, wenn ich an meine Familie denke. Diese Erinnerungen machen mich unglaublich glücklich und ich habe Angst sie irgendwann einmal verlieren zu müssen.

Eine andere Erinnerung die ich immer wieder habe sind die Motoradfahrstunden oder die Fahrstunden die ich allgemein mit meinem Paps hatte. Im Nachhinein habe ich sie vermutlich nicht so genossen wie ich sie in der Erinnerung genieße. Ich liebe es mich daran zu erinnern wie wir früh aufgestanden sind und zu zweit einfach durch die Gegend gefahren sind oder wie wir bestimmte Touren gefahren sind und mein Papa mir damit wortwörtlich die Welt gezeigt hat. Durch ihn habe ich ganz anders gelernt mich in der Welt um mich herum zu orientieren. Zum ersten Mal konnte ich einfach aufs Motorrad und losfahren, egal wohin und wie lange ich will.
Ich habe mich auch damals unbeschreiblich gut gefühlt in einer Art und Weise die ich nicht beschreiben kann. Aber aus meiner heutigen Sicht sind diese Zeiten für mich natürlich noch viel wichtiger. Ich romantisiere sie sicherlich, denn es gab auch Zeiten in denen ich mich mit meinem Papa fürchterlich gestritten habe und ihn am liebsten auf den Mond geschossen hätte. Ich war frustriert und hatte auch wenig Verständnis für das was er mir Nahe bringen wollte. Aber es fiel ihm auch immer sehr schwer sich für eine Überreaktion zu entschuldigen. 
 Nachdem das Zitat aus dem Song „Ascheregen“ sich mit meinen ersten Anmerkungen verbinden lassen, gibt es für alles was danach kommt eher andere Songs die mich zum Nachdenken bringen.

Raus von hier, das Taube spür'n - Nehmen nie zu viel - Bisschen für's BauchgefühlDie falschen Drogen zur richtigen Zeit - Werfen Schatten, wo das Licht nie scheint für kurze ZeitUnd übernehmen Straßen abendsImmer Wasser bis zum Hals, lieber Regenparka tragenSprachlos, tanzen statt redenSo müde von der Stadt, die nie schläft - Bleib in BewegungHörst du den Chor? Schief und doch schön - Höhen leicht daneben, wir sind Tiefen gewöhntMit großen Augen zwischen Bahnschienen und SchrebergärtenArm in Arm singend über Leben die wir nie leben werdenSo wie das Ding hier nun mal läuft - Kleinganovenbeichte mit zwei Fingern über KreuzWir sind Legenden, wir selbst.Gemeinsam vor'm Ende der Welt- Willkommen zu Haus' Wo jeder Tag aus warten bestehtUnd die Zeit scheinbar nie vergeht (vergeht, vergeht)In diesem Hinterland. Verdammtes HinterlandWo Gedanken im Wind verwehenUnd die Zeit scheinbar nie vergeht (vergeht, vergeht)Geliebtes Hinterland. Willkommen im Hinterland Es gibt so verdammt viele Stellen die an diesem Song so gut finde, dass es fast wehtut, wenn ich es höre und die Gefühle spüre ich die ich damit verbinde.
Seitdem mein Vater gestorben ist, ist nicht mehr viel von dem übrig was ich mal als mein Leben gesehen hab.
Die ersten Zeilen aus dem Song beschreiben aus irgendeinem Grund das Gefühl was ich von Zeit zu Zeit habe, wenn ich realisiere was eigentlich passiert ist seit damals.
Ich taumle wie benommen. Ich kann kaum meine eigenen Gedanken ordnen und ich weiß nicht mit wem ich sie teilen kann und bei wem es vielleicht einfach zu viel eigene Kraft kostet bzw. bei wem ich vielleicht auch einfach verletzt werde, wenn ich meine Gedanken teile.

Sehr früh hatte ich mir schon vorgenommen ein Tagebuch zu schreiben. Immer wieder versuchte ich mir Zeit zu nehmen und auch etwas zu Papier zu bringen, aber bisher hat das nie so richtig geklappt.
Für wen schreibe ich überhaupt, denke ich. Wer liest sich so etwas hier durch?
Gerne hätte ich einen Blog im Internet. Bis jetzt hab ich es noch nicht geschafft mir sowas einzurichten. Jemanden das alles zeigen wird auch schwierig. Die Gefahr ist ziemlich groß, dass ich die paar Leute die noch zu mir halten beleidigt werden durch alles was sie auch vielleicht über sich selbst hier lesen werden. Vielleicht wird es auch einfach nie jemand lesen. Das möchte ich und zugleich auch nicht. Ein Punkt an dem ich nicht weiter komme.

Die ersten Monate nach dem Tod meines Vaters waren fürchterlich und brutal. Mein Freund sagte wohl, ich würde funktionieren wie eine Maschine.
Ich hatte fürchterliche Angst noch mehr zu verlieren. Ich hatte Angst, dass mich meine Situation und meine Art von ihm trennen würde. Dass es nicht aufregend genug sein würde und ich vielleicht zu traurig sein würde. Ich wollte traurig sein, weil ich mich so fühlte und auch gar keine Lust hatte fröhlich zu sein. Aber ich wollte auch für meinen Freund sein. Ich wollte ihn nicht verlieren.
Gefühlsmäßig erinnere ich mich, dass ich lange gebraucht habe um zu weinen. Alles war so unreal. Es tat alles weh, über Wochen und auch wenn ich heute an diese Zeit denke tut mir alles weh. Andererseits war es die Zeit in der alle Verständnis hatten, das ich traurig war. Das Gewicht was ich seitdem mit mir trage. Die Sorgen und der Knoten im Kopf sind nur ein kleines bisschen anders geworden. Vielleicht weniger.
 Von "Alles wird Gut" und "Ich habe den Mut"Steht ein "Bitte komm zurück" Das fasst schmerzlich genau zusammen wie ich mich gefühlt habe. Man versucht klar zu kommen und Dinge zu erledigen. Weiter zu existieren. Irgendwie ist es so in einem drin, dass es ja weiter geht. Es ist befreiend aber auch irgendwie frustrierend dass ein Songtext von irgendjemanden fremden einen so treffen kann und trotzdem auch X andere Menschen sehr berührt. Ich weiß nicht, warum mich das so stört. Eigentlich ist es etwas, was einem bewusst sein sollte.

Trotzdem, wenn ich diese Zeilen höre, dann sehe ich das Gesicht von meinem Papa vor mir und innerlich weine ich schon wenn ich sage „Bitte komm zurück“.
Das sind die Gedanken auf die man immer wieder zurück kommt. Bitte komm zurück.

Ich erinnere mich eines Morgens nicht mal die Kraft zu haben mich anzuziehen. Ich schmeiße mich auf den Boden und weine und da ich alleine bin kann ich laut rufen. Oder sprechen. Ich wimmere. Ich bettle. Irgendjemanden der aber nicht da ist an, dass ich meinen Papa zurück will. Jetzt sofort. Aber es passiert nichts und man kann nichts machen und es gibt tausend, millionen Menschen denen das mit gutem Recht einfach am Arsch vorbei geht.
Verrückt, denke ich, wie Ego zentriert meine Welt zu diesem Zeitpunkt ist. Und gleichzeitig möchte ich aber das Recht einer Trauernden haben.
Ich hab meinen Papa verloren. Ich weiß nicht mal wie mein Leben jetzt weiter geht.


Schlimm war, dass mir schnell bewusst wurde, dass viele Menschen sterben durch einen Herzinfarkt. Das Thema ist gar nicht mal so untypisch. Viele überleben das auch. Ich frage mich, ob diese Leute und ihre Angehörigen daran denken, wie das Leben wohl ohne diese Person wäre. Wahrscheinlich nicht. Sie haben auch keinen Grund dazu.
Aber schlimm war vor allem, zu merken wie vielen das passiert aber wie wenige Leute ich doch treffe, die exakt dasselbe Schicksal mit mir teilen. Und noch weniger von diesen Leuten sind Leute mit denen ich mich austauschen könnte. Ich weiß zu 90% der Zeit gar nicht was ich will und was ich kann und mit was für Leuten ich zu tun haben möchte.
Ich bin einfach umher getrieben. Ich war mir wohl die meiste Zeit bewusst was passiert und es ging auch irgendwo alles weiter aber insgesamt muss ich sagen, dass ich mich nicht so fühle als hätte ich das Ereignis verarbeitet, dass mein Vater gestorben ist.

Es ist ohne LeuchtturmAllei in nem MeerMutsignale verloren, treiben umherIn der Luft zwischen unsJede Träne, jeder Frage die bliebNeben mir, genau da wo du liegst  Oft kommen mir manche Tätigkeiten und Phasen in meinem Leben ziemlich sinnlos und belanglos vor. Vieles ist gefühlsmäßig grau in grau und oft bin ich ziemlich down ohne das irgendjemand was daran ändern könnte.

Am liebsten würde ich mich über sehr lange Zeit sehr tief eingraben, alleine mit meinen Erinnerungen. Ich wünschte jeder Mensch hätte einen Gedankenpalast, so wie Sherlock Holmes. Ich wünschte ich köntte Erinnerungen festhalten und Abspielen, so wie eine Figur in meinem Liebslingsvideospiel. Ich würde nur noch in der Vergangenheit leben. Das genießen, was mich glücklich macht. Die Erinnerung an das Gefühl, was ich hatte im Sommer des Jahres 2015. An die Zeit  mit meinem Vater.
Besonders eingebrannt hat sich ein Erlebnis.

Komisch ist, dass ich eine merkwürdige Sicht auf diesen Moment hatte und zwar genau in dem Moment als es passiert.
Es war Ende September und hinter mir lag ein Wochenende mit Fahrstunden in trauter Zweisamkeit mit meinem Papa und einer Fahrprüfung im Anschluss, die ich bestand.
Es ist schon Nachmittag als wir zusammen zu Hause ankommen.
Wir unterhalten uns und als wir beide in der Küche stehen nimmt mich mein Papa in den Arm und sagt mir wie stolz er auf mich ist, wie toll ich fahren kann. Es war nicht viel. Er hält mich im Arm und wir verabschieden uns, bevor ich wieder nach Hause fahre.
Diese Erinnerung ist die intensivste die ich habe und es brennt wie die Hölle daran zu denken, aber vor allem, weil das Gefühl was ich damit verbinde so intensiv ist. Es ist im Rückblick mein ultimatives Glücksgefühl. Alles war perfekt an genau diesem Punkt.

2 Wochen später stirbt mein Vater.

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