Erinnerungen

19.09 / 20.09
Ehrlich gesagt dachte ich, dass ich einen Trauerprozess bemerken würde. Das man sich irgendwie anders fühlt. Besser, irgendwie?
Genau deswegen war ich anfangs ziemlich verwirrt und habe erstmal ausgeharrt. Ich war traurig, verletzt und meine Welt war zusammengebrochen.
Aber ich wollte im ersten Moment keine Besserung für mich. Ich wollte nicht bessere Laune haben. Ich war unendlich müde an jedem Tag weil ich die Nächte wenig und unruhig schlief.
Besserung für mich. Das würde bedeuten, dass es "okay" wäre das Papa nicht mehr da war. Und in meiner Welt war grade der Dreh- und Angelpunkt der Verlust.
Jetzt könnte ich mit 2 Jahren Erfahrung sagen, dass es leichter wird und man besser damit umgehen kann. So ist es für mich nicht. Es ist heute eher so, dass die großen und tiefen Gefühle, die ich damals mit mir rumtrug in eine Kiste gepackt wurden und ich sie in ein Regal geschoben haben.
Sie hängen jetzt manchmal noch wie eine Regenwolke über meinen Alltag aber ich versinke weniger darin.
Trotzdem ist die Erinnerung an meinen Dad noch allgegenwärtig. Es fühlt sich meistens so an, als wäre er nur lange weg. So als würde er ja gleich doch wieder kommen. Als könnte man ihn anrufen und mal nachfragen wie es geht. Man vermisst ihn jeden Tag aber der Schmerz wird meistens ausgeblendet.
Solange das im Alltag so bleibt ist auch alles okay und ich kann mich gut zurecht finden.
Anders ist es, wenn bestimmte Dinge wieder näher an mich heran kommen. Wenn der Gedanke sich von meinem Unterbewusstsein hochkämpft und mir wieder klar wird, dass mein Papa tot ist. Er nie da sein wird, wenn ich ihn bei mir haben möchte. Er keine Familienfeier miterleben wird und mir vor allem nie wieder bei Dingen helfen kann, bei denen ich alleine komplett hilflos war.
Dann kommen mir die Bilder in den Kopf wie ich ihn zuletzt gesehen habe. Der erste Tag als  er im Bestattungsinstitut im Sarg gelegen hat. Ich ging hin, um mich zu verabschieden.
Einmal berührte ich seine Hand aber er war eiskalt.
Dann sehe ich in meinem Kopf auch wieder die Beerdigung.  Der Moment, in dem er unter die Erde gelassen wurde. Das gibt mir immer noch ein komisches Gefühl und wenn ich an sowas denke und nicht aufhören kann damit, dann möchte ich nur in mein Bett, mich einrollen in eine Decke und den Rest der Welt aussperren.
Diese Momente treffen einen jedes Mal wieder wie ein Backstein ins Gesicht und egal wie lange es her ist, es wird nicht einfacher, wenn sie da sind. Sie verändern sich nicht.
Was sich in den 2 Jahren geändert oder besser verstärkt hat sind Erinnerungen die mich jeden Tag mehr oder weniger heimsuchen und gleichzeitig Erinnerungen, die ich sammle und die wehtun, ich sie aber bewusst bei mir trage, weil sie ein Gefühl in mir auslösen und weil es eben hilft eine Episode von früher klarer sehen zu können und nicht so verschwommen wie die Gedanken an die Vergangenheit nun mal sind.
Mir fällt auf, dass ich Dinge kaufe, die ich nicht wirklich kenne oder vorher gekauft habe. Aber ich kaufe sie eben, weil Papa sie eben gekauft hat.
Ein paar Wochen nach seinen Tod habe ich zu Hause eine Kiste geplündert, in der Artikel aus seiner Fahrschule waren. Werbeartikel. Eigentlich ist das meistens Schrott. Feuerzeuge? Ich rauche nicht mal.
Ein großer Magnet...warum denn, was will ich anpinnen?
Ein Flaschenöffner mit einer Taschenlampe...warum gibt es sowas überhaupt?
Es war mir egal. Die Feuerzeuge hatte Papa in seiner Jackentasche gehabt. Die Magnete hatten das Logo seiner Fahrschule, was ich für ihn Entworfen hatte. Und die Taschenlampenflaschenöffner waren an jedem Schlüsselbund. Überall stand die Adresse seiner Fahrschule drauf.

Ich wollte diese Sachen wie ein Abzeichen tragen. Ich wollte nicht dass die Erinnerungen nachlassen. 
Es sind äußerlich banale Sachen, aber wenn sie mir im Alltag begegnen, lösen sie etwas aus. 

Ich kaufe nur noch bestimmte Kaugummis, selbst meine Hustenbonbons haben eine bestimmte Marke und einen Geschmack. Das sind die, die damals immer in seinem Auto standen. Der Geschmack erinnert mich immer an verschiedene Situationen. Das gleiche passiert, wenn ich im Fahrschulwagen, der jetzt meiner Mom gehört sitze. 
Eigentlich mag ich Dosensuppe überhaupt nicht. Aber die, die mein Papa gekauft hat und die es manchmal nach der Schule bei uns zum Mittag gab, die kaufe ich haufenweise. Dasselbe ist es mit Milchreis. Eigentlich mag ich das nur, wenn es richtig kalt ist, aber wenn ich es lange nicht mehr gegessen hab, dann ist ein bisschen Milchreis auch wie eine Reise in der Vergangenheit.

Manchmal komme ich mir ein bisschen verrückt damit vor. Aber ich ertappe mich manchmal auch dabei, wie ich wünschte, Leute könnten die Verbindung sehen, die ich durch diese Kleinigkeiten habe.

Kommentare